Hiltrud Lotze: Lesung „Flucht – Eine Menschheitsgeschichte“ mit dem Historiker Andreas Kossert

Bild: © Büro Hiltrud Lotze

Auf Einladung der Bundestagsabgeordneten Hiltrud Lotze (SPD) war der Historiker Dr. Andreas Kossert in Lüneburg zu Gast. Vor einem interessierten Publikum besprach er im Museum Lüneburg sein Buch „Flucht – Eine Menschheitsgeschichte“ und las daraus vor.

Andreas Kossert, der schon mehrere Bücher über die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 und ihre Herkunftsregionen vorgelegt hat, wollte in seinem neuesten Buch nun wissen: Gibt es einen gemeinsamen Erfahrungshorizont, der alle Fluchtbewegungen verbindet und wird er durch einen Perspektivwechsel der Geflüchteten und Vertriebenen erkennbar? Seiner eigenen mitteleuropäischen Perspektive als Historiker sei er sich dabei bewusst gewesen. Sein Buch solle eine erfahrungsgeschichtliche Verortung bieten und wenn auch nur fragmentarisch wenigstens eine Ahnung vom Gesamtgeschehen Flucht vermitteln.

Unbewusst habe er über Jahre beim Lesen auch aus der Belletristik Material zum Thema gesammelt. Die Erfahrungen des Jahres 2015 hätten dann den Ausschlag gegeben, das Buch zu schreiben. Denn es habe unsere Wahrnehmung verändert, was wir seitdem mit Flucht verbinden: Schlauchboote und Schwimmwesten nennt er als Beispiele.

„Flucht – Eine Menschheitsgeschichte“ ist ein Sachbuch, ein politisches Buch. Zugleich spielt Empathie eine große Rolle, da auch die Betroffenen zu Wort kommen. Kossert verwebt die individuellen Erfahrungen und Erinnerungen von Flüchtlingen und Vertriebenen miteinander. Manchmal machen dabei nur die Details deutlich, um welche konkrete Fluchtsituation es sich handelt. Denn die Erfahrungen ähneln sich auf frappierende Weise, ob es sich um die Flucht aus Ostpreußen im Winter 1944/1945 oder die Flucht von Afghanen vor der Sowjetarmee 1979 handelt. Es geht um den ungeheuerlichen Moment des Weggehens, die Strapazen und Gefahren der Flucht, um Entwurzelung, um das Ankommen und die Erfahrung, nicht erwünscht zu sein. Es geht um Heimat und das nie endende Gefühl des Heimwehs.

„Am Ende vereint alle Geflüchteten die Erinnerung an die Heimat und die Sehnsucht, wieder dorthin zurückzukehren“, lautet ein Fazit von Andreas Kossert. Diese Hoffnung sei ein Antrieb für alle Geflüchteten – auch wenn es die Heimat in der Form, wie man sie kannte, nicht mehr existiert. „Heimat ist subjektiv und ein Wunschdenken“ so Kossert, doch das Exil wird nur selten als neue Heimat gesehen.

Kossert macht in seinem Buch und auch an diesem Abend deutlich, dass politische Konflikte und kurzsichtige Entscheidungen weiterhin Jahr für Jahr neue und immer mehr Flüchtlinge produzieren: „Es ist ein resignierendes Gefühl, dass sich Flucht immer wiederholt“.

Und zwar gäbe es in den Aufnahmegesellschaften immer wieder das, was wir „Willkommenskultur“ nennen. Aber „Empathie ist selten nachhaltig“. In vielen Gesellschaften sei das Flüchtlingsschicksal Teil der kollektiven Erfahrung. Das, so Kossert, könnte Anlass für mehr Mitgefühl und andere Verhaltensweisen in den Aufnahmegesellschaften sein. Mit dieser Hoffnung verabschiedet Andreas Kossert die Zuhörer*innen, die sich mit ihren teils eigenen Flucht- und Ankommenserfahrungen an der Diskussion beteiligt hatten, und gibt ihnen somit eine Aufgabe mit auf den Weg.